Das Wort vom Kreuz. Gedanken zur Passionszeit

Liebe Besucherin unserer Webseite, lieber Besucher,
der Gedanke, dass Gott nicht nur mit seinen Geschöpfen Mitleid hat, sondern tatsächlich und ganz wörtlich mitleidet, ist anstößig und manchen (und zwar durchaus auch frommen) Gemütern gar gotteslästerlich. Mitleid haben – das wäre noch mit den „normalen“ Vorstellungen eines allgegenwärtigen, ewigen, allmächtigen, vollkommenen Gottes vereinbar, also: Gott fühlt sich in die Lage der örtlich und zeitlich begrenzten, ohnmächtigen und unzulänglichen Wesen ein, ohne aber diese Bedingungen selbst zu teilen. Ein solches Einfühlen wäre sogar noch ein besonderes Merkmal der göttlichen Allmacht im Sinne einer warmen oder zugewandten Allmacht.
Nun unterstreichen aber die Christinnen und Christen dieser Welt mit der Feier der Passionszeit eine weit darüberhinausgehende Überzeugung: nämlich die, dass Gott tatsächlich gelitten hat und damit offenbar sich aller göttlichen Merkmale (siehe oben) entkleidet hat und selber örtlich und zeitlich begrenzt, ohnmächtig und unzulänglich existierte, wie alle Menschen, wie alle Geschöpfe: „O große Not! Gotts Sohn liegt tot.“, heißt es fassungslos im Passionslied (EG 80,2). Und fast könnte man meinen, dass auch der Dichter dieser Worte mit „Gotts Sohn“ die eigentlich gemeinte Aussage „Gott selbst liegt tot“ abmildern möchte, denn der Gedanke ist dem gläubigen Menschen natürlich eine Zumutung. Und doch steht genau für diese Aussage das Kreuz.
Auch wenn das „Wort vom Kreuz“ (1. Kor.1,18) selbst von der Christenheit oft nicht wirklich ernst genommen wurde und wird, – sei es mit einem zu schnellen Verweis auf Ostern, als wäre es das „doch noch einmal gut gegangen“ nach einem schief gelaufenen Missverständnis, – sei es mit dem gut gemeinten, aber in die  Irre führenden Hinweis auf die vermeintliche Gotteslästerlichkeit dieses Wortes, – so bleibt doch zu fragen, warum es das Kreuz ist, das das globale Symbol der Christenheit ist und nicht ein Stein oder etwas anderes, womit mehr herzumachen wäre mit Blick auf Gottes Stärke. Denn erst das Kreuz macht rund um den Globus einen Raum zur Kirche, einen Menschen zum Christen und mehrere Menschen zu einer Gemeinde.
Und mit dieser Frage einher geht die Erleichterung über die Ahnung, dass wir Menschen wohl doch nicht unseren Glauben nach eigenem Gutdünken zurechtlegen können wie unsere übrigen Meinungen. Denn auf das Kreuz als Zeichen für die Zuwendung Gottes zu unserem Leiden und Leben wäre niemand gekommen, da es nun einmal für Tod steht.
Wenn man sich die Kirchen so ansieht, so fühlten sie sich immer und fühle sich auch heute noch eher zu Zeichen von Macht und Herrschaft hingezogen, wir machen da keine Ausnahme. Und doch: im Kreuz kommt alles, was Gott für uns tut, zusammen. Alles andere ist Stückwerk. Gott sei Dank also ist „göttliche Torheit …weiser, als die Menschen sind, und göttliche Schwachheit … stärker, als die Menschen sind.“ (1.Kor.1,25)
Auch wenn also der Gedanke, dass Gott leidet, schwer erträglich ist, unerträglich wäre es einem leidlosen Gott nachzufolgen. Denn das könnte nur eine mitleidlose Nachfolge sein (die es ja zur Genüge gibt, nicht nur im Christentum). Und genau davor kann uns das Kreuz bewahren, wenn wir es denn lassen.
Ihnen allen eine gesegnete Passionszeit!
Ihr
Joachim v. Kölichen