Gedanken zur Passionszeit
„Meine Freunde bestimmen, worauf ich in der Passionszeit verzichte“, sagte ein Jesuitenpater im Fernsehinterview. Seit seinen Studientagen habe er eine Vereinbarung mit einem Freund, der ihn dann am Morgen des Aschermittwochs anrufe und ihm sage, worauf er verzichten solle. Geboren wurde die Idee in einem Gespräch, wo der Freund protestierte, dass, wer sich seinen Verzicht selbst wählt, selbst betrüge. Und, schlimmer: eigentlich keinen Verzicht übe, sondern eine Wahl in Bezug auf den eigenen Lebensstil vornehme, die er oder sie dann wie eine sportliche Übung betreibe oder wie eine Prüfung ablege, die man bestehen muss. Kurz: wer sich seinen eigenen Verzicht wählt, betrachtet dann auch den Erfolg als selbst verdient.
Man muss vermutlich gut befreundet sein, um sich auf so etwas einzulassen, denn es bürdet dem Bestimmer des Verzichts ziemliche Verantwortung auf. Und auf Seiten des Verzichtenden verlangt es eine Menge Vertrauen, dass der andere ihn a) gut genug kennt, um einen sinnvollen Verzicht zu finden und b) gern genug mag, um den Verzicht nicht zu hart zu gestalten.
Nun fragen sich manche dieses Jahr vermutlich noch stärker als letztes Jahr, als der Beginn der Fastenzeit mit dem ersten Lockdown zusammenfiel, ob man denn nicht schon unter den Bedingungen der Pandemie auf so viel verzichten müsse (Kontakte, Zusammenkünfte, Lebensfreude und „normales“ Leben), dass die Klassiker des Fastenzeitverzichts (Alkohol, Süßes, Fleisch, Bildschirmzeit) dann eine unzumutbare Extralast bedeuteten. Diese Überlegungen kommen genau von der Vorstellung, dass Verzicht einen Kraftakt darstellt, dass er eine schmerzvolle Anstrengung ist, die man sich mal zur Selbstprüfung auferlegt und dann sieht, wie lange man sie durchhält.
Aber so sind die Aufrufe zum Fasten, die es ja in allen Religionen gibt, in keiner von ihnen gemeint, sondern andersherum: nicht als Verlust, sondern Gewinn. Gewinn an Unabhängigkeit von sonst eher achtlos Verbrauchtem und Benutztem. Gewinn an Unterscheidung von Wichtigem und weniger Wichtigem. Gewinn an bewusster verbrachter Zeit. Und dieser Gewinn sollte sich idealerweise nicht nur auf einen Zeitraum von wenigen Wochen wie es die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag ist, beschränken. Aber alles Fasten, aller Verzicht im Blick auf das eigene Verhältnis zu Gott und, daraus folgend, den Mitmenschen und der Mitwelt, ergibt nur Sinn, wenn er unter dem Geschenk- und Gewinncharakter gesehen und praktiziert wird. Und weil man sich selbst nur etwas kaufen kann, Geschenke aber nur von anderen erhalten, ist es eigentlich konsequent, dass andere bestimmen dürfen, worauf ich verzichte. Aber dazu braucht es untereinander dasselbe Vertrauen, das wir als Grundlage unserer Beziehung zu Gott mit dem Wort Glauben beschreiben.
In diesem Sinne uns allen eine gesegnete Passionszeit, ob mit oder ohne sichtbaren Verzicht, aber auf jeden Fall mit geschenkter Freiheit.
Ihr und Euer Joachim von Kölichen