Halb voll oder halb leer? Gedanken zum Sommer

Liebe Leserin, lieber Leser,
unsere Gemeindejugend besitzt zwei Schlauchboote, wie das im Bild. Wunderbar für sommerliche Aktivitäten wie dem Paddeln auf der Vils, zum Beispiel ab Kümmersbruck runter bis zur Autobahnbrücke. Das hat immer richtig Spaß gemacht, und wenn der Diakon, der die Jugendgruppe leitete, dann noch in Lengenfeld von der Brücke Eis in die Boote warf, war das Glück perfekt. Und so einen Sommer wünsche ich Ihnen und Euch, sei es direkt so oder im übertragenen Sinn: – in einem Schlauchboot auf dem Wasser und schlaraffenlandartige Überraschungen wie fliegendes Eis dazu: ein neuer Morgen nach langer Nacht.
Die schlechte Nachricht ist: die Boote sind im Wortsinn nicht ganz dicht. Zahlreiche Einsätze, nicht immer sachgemäße Behandlung, gelegentliche Unfälle haben ihre Spuren in Form von kleinen Löchern hinterlassen. Selbst eine gründliche Untersuchung und der Versuch, die Löcher abzudichten wäre immer unvollständig, – zu viele kleine Beschädigungen hat die Gummihülle erlitten. Mit anderen Worten: wie sehr man sie auch aufpumpt, die Zeit, in der man die Boote nutzen kann ohne selbst nass zu werden, bleibt begrenzt. Trotzdem kann man die Gefährte nutzen zur allgemeinen Freude derer, die sich auf den Spaß einlassen können.
Es ist nur ein Bild, gewiss, und Bilder sollte man nicht überstrapazieren. Aber Bilder können manchmal einen Gesichtspunkt eines Themas verständlicher machen als abstraktes Nachdenken. Und im Nachdenken über diese Sommerwochen, die schon zum zweiten Mal im Schatten von atemlos verfolgten Infektionsraten, Einschränkungen hier und Lockerungen dort stehen, sind die Löcher im trotzdem nutzbaren Schlauchboot vielleicht ein Aspekt bei der Beantwortung der Frage, ob ich den Sommer genießen kann oder ob er mir durch schlechte Nachrichten verhagelt ist.
Fest steht, dass die Wirklichkeit nicht immer die Erwartungen erfüllen kann, das geht uns auch ohne Pandemie so. Erwartungen sind gerne sehr hochgeschraubt, alles unterhalb von perfekt gilt vielen als nichts wert. Und das Feststellen der Löcher erfüllt manche Zeitgenossen auch mit einer ganz eigentümlichen Genugtuung, nämlich dem Rechthaben. Aber wer beim Feststellen der Löcher stehenbleibt und nur sieht, was alles nicht passt, dem entgeht sehr viel, nämlich die Tatsache, dass auch zeitlich oder räumlich oder insgesamt begrenzte Freude immer noch genau das sein kann, wenn man es lässt: Freude.
Und davon wünsche ich Ihnen sehr viel in den kommenden Wochen. Denn die Freude, wie löchrig oder begrenzt sie sein mag, ist die Fähigkeit, über allen Löchern und Begrenzungen zu ahnen, wie das Leben und die Schöpfung ganz allgemein schon immer gemeint waren: sehr gut.
Herzliche Grüße,
Ihr und Euer Joachim v. Kölichen