Gedanken zu Advent und Weihnachten

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„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“ – im Gesangbuch ist das Lied mit gutem Grund mit der magischen Nummer 1 versehen, denn mehr Aufbruch, mehr Anfangsmut und mehr Ärmel hochkrempeln geht nicht. Durch die weit geöffneten Tore und Fenster kann nicht nur der „Herr der Herrlichkeit“ einziehen, sondern auch die Zukunft insgesamt. Mit dem Advent beginnt kirchlich gesehen ein neues Jahr.
Aber nicht nur Neues kann hinein in unser Leben – durch die weit geöffneten Tore können wir auch hinaus ins Freie, gewissermaßen vor die Tür. Denn mit der Zukunft und uns verhält es sich nun einmal wechselseitig. Wir sind ihr nicht nur ausgeliefert, indem sie zu uns kommt, sondern wir gestalten sie auch zu einem guten Teil, indem wir auf sie zugehen.
Die Pandemie bietet für diese Wechselseitigkeit seit fast zwei Jahren reichlich, wenn auch nicht nur erhebendes, Anschauungsmaterial: einerseits kam sie mit Macht und leider auch viel Leid für viele über uns alle rund um den Erdball – unterschiedslos, was Region, Kultur oder Staatsform angeht. Andererseits konnte man die Gegenmaßnahmen oder deren Mangel ganz unterschiedlich gestalten und damit die Gesamterfahrung dieser Krise.
Das Warten und die Vorbereitung auf die Geburt Gottes als Mensch war ursprünglich als Zeit der (inneren) Einkehr gedacht, eine, in der wir Menschen Gelegenheit haben sollten darüber nachzudenken, wie wir dahin gekommen sind, wo wir stehen, und wohin wir uns von hier aus aufmachen wollen. In Bezug auf uns selbst, in Bezug auf die uns nahe Stehenden, in Bezug auf Gott. Also: Positionsbestimmung und Zielausrichtung. Beides geht nur mit etwas Abstand zum tagtäglichen Lauf der Dinge und deshalb hat die Adventszeit ja auch einen ganz eigenen Charakter, der sich nicht nur an vorweihnachtlichen Bräuchen, Liedern, Texten in all ihrem Zauber und ihrer Faszination (und auch wenn Corona manchen der Bräuche einen ziemlichen Strich durch die Rechnung macht, sind Zauber und Faszination der Advents- und Weihnachtszeit dann doch stärker) zeigt, sondern jedem, der eben das versucht, seine Position zu bestimmen und sich an einem Ziel auszurichten. Es ist kein Zufall, dass das meist verwendete Wort in diesen Tagen, um gute Wünsche für andere auszudrücken, das Wort „besinnlich“ ist. Aber wenn die Besinnlichkeit ein Ziel hat, dann das der Fröhlichkeit, die man sich und anderen dann zu Weihnachten wünscht.
Der Abstand, den man benötigt, um über Position und Ziel nachzudenken, bezieht sich also gar nicht nur auf die Dinge und Umstände um einen herum, sondern auf die Zeit selbst. Auch zu ihr braucht man gelegentlich etwas Distanz, um sie nicht nur als gnadenloses Ablaufen der Tage, Wochen, Monate und Jahre, die aus der Zukunft kommen und in der Vergangenheit entschwinden, zu erfahren, sondern als etwas, das ich mitgestalten kann, wenn ich mich traue, ihr etwas souveräner gegenüberzutreten.
Und dabei will uns Gott mit der Ankündigung und dann der Geburt des Gotteskindes in unsere Zeit, in unsere Welt hinein helfen. Denn als Mensch unter Menschen nimmt er selbst an der Zeit, an der Welt, an unserem Leben teil, so wie es ist, mit Höhen und Tiefen, Licht und Schatten, Stärken und Schwächen, Freuden und Nöten. Da wird nichts geschönt, aber alles gesegnet durch diese Nähe Gottes. Und gleichzeitig weitet Gott, indem er ins Hier und Jetzt kommt, unseren Blick dafür, dass unsere Grenzen nicht Gottes Grenzen sind und Grenzen wie Türen und Tore dann am besten sind, wenn sie aufgehen bzw. überwunden werden.
In diesem Sinne Euch und Ihnen allen eine gesegnete und alle widrigen Umstände überwindende, grenzüberschreitende Adventszeit und dann fröhliche Weihnachten!
Joachim v. Kölichen