„Du bist ein Gott, der mich sieht“ – Jahreslosung 2023
Sehen – gesehen werden.
Wenn ich gesehen werde, gehöre ich dazu. Wenn ich übersehen werde, gehöre ich nicht dazu.
Hagar gehört nicht dazu. Sie ist Sklavin. Übersehen und unsichtbar arbeitet sie für Sarai jeden Tag.
Die eigentliche Geschichte dreht sich um Abram und Sarai, die auf Gottes Verheißung warten.
In den Blickpunkt gerät Hagar erst, als Sarai beschließt, Abram solle doch Hagar schwängern, um so Gottes Verheißung auf die Sprünge zu helfen. Jetzt ist Hagar Teil der Geschichte – und doch wieder nicht. Mit allem, was sie ist, ist sie involviert in das Geschehen. Trotzdem bleibt sie stumm. Sie muss ihren Körper als Leihmutter zur Verfügung stellen und hat doch kein Mitbestimmungsrecht.
Ihre Schwangerschaft bringt die Hierarchie zwischen Sarai – der Herrin ohne Kinder – und Hager – der schwangeren Sklavin – ins Wanken. Aber Sarai setzt sich zur Wehr. Bevor jedoch die Herrin Maßnahmen gegen Hagar ergreift, flieht die Schwangere in die Wüste. Erschöpft lässt sie sich dort an einer Wasserquelle zu Boden fallen.
„Aber der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur. Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen.“ (Genesis 16, 7 u.8)
Hier passiert Unglaubliches im Leben von Hagar. Sie ist die erste Frau in der Bibel, die Gott durch seinen Boten persönlich anspricht!
Zwar bleibt sie Sarais Dienerin. Doch sie bekommt ihre Würde zurück: sie wird endlich wahrgenommen und mit ihrem Namen angesprochen. Bisher hatte sie zu befolgen, was ihre Herrin befahl. Jetzt wird sie das erste Mal gefragt:
„Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin?“
Eine alltäglich anmutende Frage wird an dieser Stelle zu einer existentiellen: „Wo kommst du her und wo willst du hin?“
Eine wichtige Frage, der es sich auch dann zu stellen lohnt, wenn wir nicht am Boden liegen!
Hagars Antwort fällt kurz aus: „Ich bin von meiner Herrin Sarai geflohen.“
Damit bringt sie ihre Verzweiflung auf den Punkt. Doch der Engel schickt sie in die „heiße“ Situation zurück. Es ist die einzige Chance, dass ihr Kind als legitimer Sohn Abrams anerkannt werden kann.
Aber Hagar kehrt nicht zurück als die namenlose und unsichtbare Sklavin. Sie dreht um, gestärkt mit einer umfassenden Segensverheißung:
„Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können. Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört.“ (Gen 16, 10 u.11)
In der Begegnung mit dem Boten Gottes erfährt Hagar Gott selbst und kommt zu der Erkenntnis:
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (Gen. 16, 13)
Das ist für Hagar der Name Gottes und zugleich ihr persönliches Glaubensbekenntnis!
Diese Erkenntnis richtet sie auf und verwandelt sie von der namenlosen, stummen Dienerin Sarais zur von Gott angesehenen und gesegneten Hagar. Gott sieht sie nicht nur, sondern hat auch ihr Elend gehört. Damit sie das nie vergisst, soll sie ihrem Sohn den Namen Ismael geben, der genau das bedeutet: Gott hört.
Gott ist ein Gott, der sieht. Gott ist ein Gott, der hört.
Er sieht und hört besonders diejenigen, die für ihre Mitmenschen oft unsichtbar ist.
Möge sein Blick auch Sie stärken.
Das wünsche ich Ihnen.
Ihre Pfarrerin Theresa Amberg